Berlin. 1. März 2017. (mediap). Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab den „Tagesthemen“ gestern das folgende Interview. Die Fragen stellte Ingo Zamperoni:
Frage: Welche politischen Konsequenzen muss der Fall Yücel für Sie jetzt haben?
Lindner: Ein Angriff auf die Pressefreiheit ist ein Angriff auf die Freiheit von uns allen. Und deshalb darf die Bundesregierung in dieser Frage jetzt nicht zur Tagesordnung zurückkehren. Es kann nicht sein, dass Vertreter der türkischen Regierung nach Deutschland reisen, um hier für ein Ende von Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit und Einschränkungen der Pressefreiheit zu werben, während auf der anderen Seite deutsche Staatsangehörige in der Türkei festgesetzt werden, weil sie diese Freiheiten leben wollen. Also – ich bin dafür, dass wir mit der Türkei jetzt fair aber doch sehr robust über unsere Werte sprechen. Und, um es konkret zu machen, in dieser Lage halte ich es für unvorstellbar, dass Mitglieder der türkischen Regierung nach Deutschland einreisen, um hier Kampagnen, um hier Wahlkampf zu machen.
Frage: Da klingt robust. Aber ist so ein Einreisestopp für türkische Regierungsmitglieder denn überhaupt realistisch?
Lindner: Selbstverständlich. Die deutsche Bundesregierung kann ja entscheiden, wem sie eine Einreise gestattet und wem nicht. Es ist ein scharfes Mittel, aber in dieser gegenwärtigen Lage halte ich es für angemessen. Es hat ja bereits eine ganze Reihe von Spannungen mit der Türkei gegeben oder um genauer zu sein, mit der Regierung Erdogan. Und die Bundesregierung war teilweise doch sehr lax. Man hatte den Eindruck, Deutschland und Europa sind erpressbar geworden wegen der Flüchtlingspolitik. Das darf jetzt so nicht fortgesetzt werden. Wir wünschen uns eine Partnerschaft mit der Türkei, aber eben einer rechtsstaatlichen Türkei, einer Türkei, die europäische Werte akzeptiert und die vor allen Dingen nicht gegen Journalisten vorgeht, die nichts anderes tun, als unabhängig und kritisch über Politik zu berichten.
Frage: Jetzt können sie das als Opposition ja leicht fordern, eine robustere Gangart. Aber die Bundesregierung, sie haben es kurz angesprochen, die braucht die Türkei, damit dieser Flüchtlingspakt hält, der ja die Zahl der hier ankommenden Flüchtlinge begrenzt. Sollte die Bundesregierung die Aufkündigung dieses Paktes also riskieren?
Lindner: Wir sollten uns schnellstmöglich aus der Erpressungssituation befreien, aus der Abhängigkeit der Regierung Erdogan.
Frage: Aber geht das überhaupt?
Lindner: Ja, das geht, und das muss gehen. Die erste Priorität muss nun sein, einen europäischen Grenzschutz zu erreichen. Das ist nicht gegen die Zusammenarbeit mit der Türkei und mit anderen Mittelmeeranrainerstaaten gerichtet, aber als Ultima Ratio müssen wir in der Lage sein, unsere Grenzen auch selbst zu kontrollieren. Und dazu werden wir in Europa eine ganz andere Institution brauchen, als wir sie bis dato haben. Wir haben 1.500 Mann bei der Grenzschutzagentur Frontex, aber die kann auch nur auf Anforderung tätig werden. Ich bin für einen Grenzschutz, eine mit hoheitlichen Befugnissen ausgestattete Behörde mit 15.000 Kräften, Männern und Frauen, die die Grenzen kontrollieren; nicht um Europa abzuschotten, aber um wieder die Kontrolle herzustellen, mit wem wir humanitär solidarisch sind und wen wir aus wohlverstandenem Eigeninteresse in den Arbeitsmarkt einladen und für wen weder noch gilt.
Frage: Aber glauben Sie denn, dass Präsident Erdogan sich da irgendwie beeindrucken lässt und die Türkei weiterhin nicht so umkrempelt, wie er das zurzeit macht? Gibt es da irgendwelche Möglichkeiten überhaupt für Europa, für die Bundesrepublik, da einzugreifen und Einfluss auszuüben?
Lindner: Zumindest müssen wir Flagge zeigen. Welche Ergebnisse dann am Ende erzielt werden, wer kann das sagen? Und natürlich haben wir auf die Situation innerhalb der Türkei nur begrenzten Einfluss. Sicherlich kann das aber nicht richtig sein, dass die türkische Regierung und Herr Erdogan noch aufgewertet werden durch Besuche deutscher Regierungsvertreter, unserer Regierungschefin in der Türkei. Also, das muss unterbleiben. Es muss auch der türkischen Regierung klargemacht werden, dass wir es ernst meinen. Also beispielsweise sollte der türkische Botschafter einbestellt werden – regelmäßig bei solchen Vorgängen einbestellt werden und in eine politische Diskussion gebracht werden. Und wie ich gerade sagte, es kann nicht sein, dass bei uns unsere Versammlungsfreiheit ausgenutzt wird, um gegen die Aushöhlung von Freiheiten in der Türkei zu werben. Deutschland darf nicht Schauplatz innertürkischer Auseinandersetzungen werden. Die türkische Regierung darf durch die deutsche nicht aufgewertet werden. Wir haben einen Auftrag, ein Wächteramt für die Freiheit über Deutschland hinaus. Es sind europäische Werte. Wenn die Türkei ihnen nicht entsprechen will, dann muss ihr verdeutlicht werden, dass wir das nicht akzeptieren und dass am Ende damit auch die Gespräche für eine Aufnahme der Türkei in die EU ad absurdum geführt worden sind und beendet werden sollten.